Vom hoffnungslosen zum kooperierenden Hund

Foto zVg G. & B. von Känel
Foto zVg G. & B. von Känel

Lange haben wir uns damit auseinandergesetzt, welcher Hund wohl am besten in unsere lebhafte, aktive Familie passen würde. Ich konnte mir gut vorstellen, mit dem künftigen Hund im Hundesport aktiv zu werden. Die Personensuche kannten wir von einer Kollegin, welche einen belgischen Schäferhund führte und die Nasenarbeit, welche sie mit ihrem Hund machte, faszinierte mich. Die Rasse gefiel uns sehr. Wir suchten einen regionalen Rasseclub auf und informierten uns über den Belgier. Der Tervueren wurde uns als gut in eine Familie integrierbar vorgestellt. Mit der Empfehlung eher einen Hund aus Arbeitslinie zu kaufen – da dieser ein stabileres Nervenkostüm besitze und somit auch mit Lärm in der Familie besser zurecht kommen könne – besuchten wir den uns empfohlenen Züchter.

 

So kam es, dass wir eine 10 Wochen alte Hündin bei uns aufnehmen durften. Wir freuten uns riesig und es ging auch gleich los mit Welpenspielgruppe. Das Hündchen drehte dort ganz zünftig auf und musste immer mal wieder rausgenommen werden, da sie ganz hektisch wurde. Die Leiterinnen zuckten die Schultern, sagten jedoch nicht viel dazu und wünschten mir zum Schluss „viel Glück“ mit dem Hund…

 

Ich suchte eine von einem „Hundeprofi“ empfohlene Junghundegruppe auf, kam jedoch nach dem ersten Kurs zum Schluss, dass dies wohl nicht mein Weg sei. Meine Hündin fiel auch hier durch ihr hektisches Spiel auf. Dass sie – obwohl ohne Ablenkung schon sehr gut gehorchend – in der Junghundegruppe nicht mehr ansprechbar war, wurde mit „das kommt dann schon…“ kommentiert. Da mir das nicht genügte, beschloss ich zurück zum Züchter ins Training zu gehen. Der muss ja wohl wissen, wie mit dieser Rasse umgegangen werden soll. Nun folgte ein sehr diszipliniertes, hartes Training mit positiv bestärkenden Elementen, jedoch auch mit sehr viel Druck für mich und für die Hündin. Auf Empfehlung des Züchters begann ich ein Schutzhundetraining. Auf dem Sportplatz entwickelte sich die Hündin wunderbar. Als sie jährig wurde, wären wir schon zur ersten Prüfung bereit gewesen. Für die Probleme, welche sich in der Zwischenzeit neben dem Platz entwickelten, wurde mir einfach empfohlen, halt strenger mit dem Hund zu sein und ihr auch mal eins auszuwischen, wenn sie z.B. einem Auto nachjagen oder einen Menschen anknurren möchte. Begleitet wurde ich auf meinen problematischen Spaziergängen trotz mehrmaliger Anfrage nie. Da sie im Training in der Dunkelheit mit den anderen neben das Auto tretenden Hundeführern ein Problem hatte, wurde mir lediglich empfohlen, dass Auto halt etwas weiter weg zu parken.

Die auf dem Sportplatz glänzende Seifenblase platzte dann vollends, als ich in einer Trainingswoche mit anderem Gelände und anderem Pikeur konfrontiert wurde. Da ging gar nichts mehr. Meine Hündin schnappte sich den Ärmel und wusste nicht mehr wie sie hiess… Die Woche verbrachte ich alsdann mit sogenannter Bindungsarbeit. Das heisst unter anderem wurde mein Hund gehalten, während ich wie von der Tarantel gestochen davonzurennen, und mich im Wald zu verstecken hatte. Sie musste mich dann suchen. Oder ich musste mit offenem Kofferraumdeckel davon rasen, wenn sie auf Rückruf nicht sofort kam, da sie sich offensichtlich im Auto sicher fühlte.

 

So kann das nicht weitergehen, war für mich nach dieser Woche klar. Im Internet stiessen wir auf einen Hundeausbildenden, welcher Problemhunde analysiere und therapiere. Also fuhren wir viele Kilometer um zuzusehen, wie unser Hund vom „Fachmann“ analysiert wurde. Heute würde ich das Vorgehen so interpretieren, dass mein Hund so sehr in die Enge getrieben wurde, dass sie eigentlich gar nicht anders als mit massiver Aggression reagieren konnte. Na ja wir waren beeindruckt und uns war klar „jetzt muss etwas geschehen“! Es hiess – so wie sich dein Hund mit 1½ Jahren zeigt, so hast Du ihn für den Rest seines Lebens. Da blieb nicht viel Zeit - also besuchte ich umgehend den mir empfohlenen dreitägigen Kurs und lernte unter anderem „Sicherheit gibt Vertrauen und Respekt“. Ich arbeitete hart an meiner eigenen „Härte“ respektive Sicherheit. In meiner Verzweiflung liess ich mich nach dem Prinzip „Wer zur Quelle zurück kehren will, muss zuerst gegen den Strom schwimmen!“ auf ziemlich unfaire, Erziehungsmethoden ein, welche für mich jedoch in der damaligen Situation immer irgendwie plausibel wirkten.

 

Nachdem ich trotz intensivem Training nicht weiter kam, wurde mir empfohlen, die Hündin doch besser an eine Hundetrainerin des Fachmannes abzugeben. Die Chemie zwischen uns beiden stimme einfach nicht. Ich war sehr nah daran, hier aufzugeben. Nur dadurch, dass mein Mann fand, nun wolle er auch noch eine Chance stieg ich nicht auf das Angebot ein und machte mal einen Monat „Hundepause“. Ich hatte ziemlich genug von all den Hundeschulen und Hundetrainern und ging dann ca. ein halbes Jahr meinen eigenen Weg. Danach war ich wieder bereit, einen neuen Weg anzugehen. Eine verhaltenstherapeutische Untersuchung bei einer Tierärztin schien mir nun angebracht. Dies ergab, dass die Hündin äusserst sensibel und nervlich instabil sei und dadurch eine defensive Aggression gegenüber Menschen und teilweise gegen Hunde entwickelt habe. Es wurden ihr Medikamente verschrieben und falls ich den weiteren Weg nicht alleine gehen wolle, wurde mir eine Hundeschule, welche unter anderem auch mit Clicker arbeite empfohlen. Ich erarbeitete mir mittels Literatur und Videos zahlreiche Tricks mit dem Clicker und besuchte die Plauschgruppe der Hundeschule. Nun ging es endlich wieder einen Schritt vorwärts und es gab wieder Momente, wo mir der Hund Freude bereitete. Im Kernproblem, den Begegnungen mit Hunden und Menschen jedoch kam ich nicht wirklich vorwärts. Mein Hund verfügte zwar in der Zwischenzeit über einen tadellosen Grundgehorsam. In Überraschungssituationen und überhaupt in der Gruppe war sie jedoch nach wie vor masslos überfordert. Wir begannen nun für das Training von überraschend auftauchenden Menschen mit einem „Lufthalsband“ zu arbeiten. Dies war jedoch bald wirkungslos und es wurde mir empfohlen die Sache nun mittels Elektrohalsband endgültig zu klären. Dies ging mir nach den bis dahin gemachten Erfahrungen nun definitiv zu weit. Ich willigte nicht ein. So kam es, dass mir die Hundetrainerin empfahl mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ob ich bis an ihr Lebensende darauf warten wolle, bis ein Unfall passiere, oder ob ich nicht lieber ein Ende mit Schrecken, statt ein Schrecken ohne Ende (sprich Euthanesie) ins Auge fassen wolle.

 

...

 

Auf Hinweis einer Kollegin wagte ich dann nochmals einen „Philosophiewechsel“ hin zur bedürfnis- und motivationsorientierten Hundeerziehung ohne Druck und sinnlose Strafen. Ich erlebe erstmals, dass Hundetraining Spass machen kann und man dabei auch lachen darf. Ich lerne meinen Hund zu lesen. Ich erkenne nun ihre Zeichen von Stress. Es geht jetzt nicht mehr darum, dass ein Befehl jederzeit blitzschnell vom Hund umzusetzen ist, sondern ich verstehe nun, warum sie manchmal ein Signal nicht umgehend befolgen kann und habe gelernt, ihr in solchen Situationen mittels einem Brückensignal aus der Hundewelt zurück in die Menschenwelt zu helfen. Durch die konsequente Umsetzung der positiven Verstärkung spüre ich, wie sich unsere Beziehung deutlich verbessert hat. Ja, in den letzten beiden Jahren konnten wir gegenseitig enormes Vertrauen aufbauen. Wir arbeiten zwar immer noch an den vielen Dingen, welche ich zuvor mit bestem Wissen und Gewissen falsch gemacht habe, doch meine Hündin hat nun gelernt zu kooperieren. Wir sind weiter daran, Alternativverhalten in schwierigen Situationen abrufbar zu machen. Immer öfters gelingt dass denn auch. Es ist wunderschön, wenn sie mich dann vertrauensvoll anschaut oder sich an mich lehnt.

Wenn ich heute mit ihr durch den Wald spaziere und wir zusammen dem davonrennenden Reh zuschauen, kommt es häufig vor, dass sie sich zu mir umwendet und nach dem davonfliegenden Ball verlangt. Wenn wir neben ihrem Lieblingsmäuseloch durchgehen, schaut sie mich fragend an: ob ich mich wohl auf das „Buddelspiel“ einlasse? Zwar braucht es immer noch wenig und sie gerät in hohe Erregung. Sie hat jedoch gelernt, sich auch wieder zu entspannen – auch am Auslöser. Wir haben gelernt, miteinander zu kommunizieren.

 

Wenn sie jetzt auf Rückruf zu mir kommt, so geschieht dies nicht, weil sie Angst davor hat, was bei nicht gehorchen passieren könnte (ein Leinenruck oder anderes Angst einflössendes Verhalten). Sie weiss, dass sie eine bedürfnisgerechte Belohnung erhalten wird. Dies kann ein Gudi sein oder schnüffeln zu dürfen, im Mäuseloch zu buddeln, ein davonfliegender Ball, ein Zerrspiel mit mir oder andere situationsbezogene Belohungen.

 

Ich danke meiner Hündin für ihre grosse Geduld mit mir und dafür, dass sie mich gezwungen hat, meine Trainingsmethoden massiv zu überdenken und hoffe, dass wir unsere zurückgewonnene Freude am miteinander unterwegs zu sein noch lange geniessen dürfen. Und ich danke unserem engagierten Coach für die vielen positiven Erlebnisse, die ich jetzt geniessen darf.

 

Gabriela von Känel mit Malisha, Juli 2012